Links, links, ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm…

Was ist los mit der radikalen Linken in Deutschland? Da ist man mal eben für ein, zwei Jahrzehnte ausser Haus, und wenn man wieder auftaucht, findet man so was vor. Revoluzzer, die offenbar nur ihr angestammtes Terrain verteidigen, unfähig zu jeder Politik oder der Vemittlung ihrer Ideen in Kreise ausserhalb der eigenen Blase. Verlautbarungen, bei denen man sich erst noch mal vergewissern muss, ob sie denn nicht aus der Presseabteilung eines Ministeriums stammen. Und eine wilde Hatz auf jede Abweichung vom täglich neu festgelegten Gutmenschsprech. Bei jedem Versuch, zu einer Position zu kommen, betritt man ein begriffliches Minenfeld. So bleibt man am Ende lieber stehen, wo man ist, aus Angst, eine der Abkürzungen für unzählige identitätspolitische Klassifizierungen falsch wieder zu geben. Wollen wir so die bestehenden Verhältnisse umwälzen? Wollen wir denn überhaupt noch Verhältnisse umwälzen?

Was genau als „links“ zu gelten hat, kann man natürlich schlecht definieren. „Links“ ist eine Richtungsangabe. Wichtig ist in erster Linie zu bestimmen, was denn am Ende dieser Richtungen steht, also ganz weit links und ganz weit rechts. Und irgendwo dazwischen positioniert man sich, also „links von…“ oder „rechts von…“ Dann gibt es natürlich auch noch diejenigen, die meinen, das Rechts-Links-Schema sei überholt. Aber wenn man sich deren Argumente anhört, stellt man schnell fest, dass sie selbst sich sehr wohl im Schema befinden, und zwar eher rechts, was sie jedoch lieber nicht sagen wollen. Bisher gab es aber durchaus einen gemeinsamen Nenner, was denn als „radikal links“ zu gelten habe. Und zwar die Ablehnung des herrschenden kapitalistischen Systems, inklusive seiner verschiedenen Nuancen von Unterdrückung und Ausbeutung. Radikal links zu sein sollte also eigentlich heissen, dass man sich ausserhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung positioniert. Aber stimmt das denn noch?

Ein wesentlicher Teil der ehemaligen radikalen Linken hat sich eindeutig vom Systemwechsel losgesagt, obwohl sie nach wie vor das Prädikat „linksradikal“ für sich reklamieren. Sie sehen sich heute als integraler Bestandteil der vom Markt bestimmten Gesellschaftsordnung, in der Art eines fortschrittlichen Korrektivs eines im Allgemeinen akzeptierten Systems. Das lässt sich schön darstellen am doppelten Bildersturm auf das Reichstagsgebäude. Während einer Corona-Demo erklomm eine Gruppe von Nazis die Treppe des symbolischen Zentrums der politischen Macht und schwenkte ihre Fähnchen. Man könnte sich noch fragen, was sie damit wollten, ob sie den Reichstag wieder mal niederbrennen wollten wie 1933 oder einfach nur ihren Anspruch auf die Führung des Landes darstellen wollten. Geschenkt, die Beweggründe von Nazis sollen uns hier nicht weiter interessieren. Aber jetzt kommt’s: Tags darauf titelte die taz, die sich schon seit längerem für ihre künftige Rolle als Regierungsblatt warm spielt, mit der Hymne der Hausbesitzer*innenbewegung Anfang der 80’er Jahre: „Das ist unser Haus!“ Gemeint war diesmal der Sitz des Parlaments. Geschrieben wurde das Stück jedoch von Ton Steine Scherben anlässlich der Besetzung des Georg von Rauch Hauses, benannt nach einem Aktivisten, der von Polizisten getötet wurde. Auch das ein Bildersturm, diesmal aber von links: Die vermeintlichen Erben der Bewegung bemühen ein Symbol des Kampfes gegen Staat und Kapital, um ihr eigenes Angekommensein im Zentrum der Macht zu rechtfertigen. Kein Protest regte sich aus der linksradikalen Szene. Die Umwidmung schien akzeptiert zu werden. Wichtiger als symbolpolitisches Erbsenzählen scheint den heutigen Radikalen die Einheit gegenüber dem eigentlichen Feind zu sein: Rechtsradikale und Aluhüte.

Was aber ist mit denjenigen, die den Sturz der Verhältnisse nach wie vor auf ihren schwarz-roten Fahnen tragen? Die, die immer noch die Umwälzung der Verhätnisse hin zu einer selbstbestimmten Gesellschaft propagieren? Sie machen einen resignierten Eindruck. Die Gralshüter*innen der Revolution scheinen sich darin zu genügen, innerhalb der eigenen Kreise den aufrechten revolutionären Gang zu pflegen, ohne sich um ihre Ausstrahlung in den Rest der Gesellschaft allzu viele Gedanken zu machen. Ihnen geht es mehr um Haltung als um Handlung. Wichtiger als etwas zu erreichen ist es ihnen offensichtlich, selbst möglichst untadelig da zu stehen. Das ist sicher nicht ganz falsch, kein Mensch braucht schliesslich Leute, die anderen kluge Ideen predigen, die sie für sich selbst aber nicht nicht anwenden wollen. Aber ist da noch wirklich der Wunsch lebendig, etwas anderes auszuprobieren als das Etablierte? Der Mut, zu träumen? Oder gefällt man sich einfach in seiner Nische, die vom System toleriert wird, weil sie ihm nicht wirklich gefährlich werden kann und ihm dafür einen Anstrich von Toleranz verschafft?

Das kapitalistische Modell ist auf Dauer nicht haltbar. Es funktioniert nur, wenn es ständig expandiert. Man muss kein mathematisches Genie sein um zu verstehen, dass es in einem begrenzten Raum kein unbegrenztes Wachstum geben kann. Wir können also darauf warten, bis irgendwann die letzten Ressourcen verbraucht und die letzten Winkel des Planeten vergiftet sind, bis der ganze Laden schlicht nicht mehr bewohnbar ist, bevor wir anfangen uns darüber Sorgen zu machen, was da wohl falsch läuft. Oder wir können jetzt darüber nachdenken, ob es vielleicht noch eine andere Form geben könnte, wie man das Leben auf diesem Planeten organisieren könnte. Intelligent genug dafür wären wir. Das einzige was uns dafür fehlt, ist der Mut.


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