Klima, Kampf und Kolonie

Die Hitze ist nur schwer zu ertragen. Die einst grünen Hänge liegen grau unter dem Dunst enfernter Brände, ein heisser Wind saugt die letzten Tropfen Wasser aus den Blättern. Der Orangen- und der Mandarinenbaum vor meinem Haus, die jahrelang dem immer wärmeren Klima getrotzt haben, sind beide am Eingehen, trotz Bewässerung. Die Hitze ist einfach zu viel für sie. Das Schlafen fällt schwer in den stickigen Zimmern ohne Ventilator oder Klimaanlage, seit wegen der anhaltenden Trockenheit die Staustufen keinen Strom mehr liefern und die Energieversorgung deshalb während der Hälfte des Tages gekappt ist. Der Klimawandel ist angekommen im venezolanischen Mérida, das einst als die Stadt des ewigen Schnees galt. Selbst der Pico Bolívar, der letzte von fünf Gletschern und Wahrzeichen der Stadt, ist vor zwei Jahren endgültig abgetaut.

Von einer Bewegung zum Schutz des Klimas ist hier allerdings nichts zu spüren. Warum auch, der CO2-Fussabdruck der Menschen hier liegt weit unter dem Durchschnitt der industrialisierten Welt, und das Venezuela der Regierung Maduro ist, wenn auch vollkommen unfreiwillig, dank einer Kombination von Korruption, Misswirtschaft und US-Sanktionen, zu einem Musterland in Sachen klimatischer Nachhaltigkeit geworden. Der Autoverkehr hat sich wegen der permanenten Benzinknappheit auf einen Bruchteil reduziert, die jahrelange Rezession hat für eine drastische Verringerung des Ausstosses von Treibhausgasen durch die Industrie gesorgt, der Flugverkehr im Inland ist minimal dank der hohen Ticketpreise, und durch das Absinken der Einkommen der arbeitenden Bevölkerung auf ein Minimum ist deren Fähigkeit zum Konsum kontaminierender Produkte radikal eingeschränkt. Auch weggeworfene Nahrung, weltweit immerhin verantwortlich für über neun Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente, dürfte hierzulande kaum ins Gewicht fallen. Kaum jemand verschwendet hier noch Essen. Venezuela ist derzeit wohl das einzige Land weltweit, wo Décroissance so konsequent umgesetzt wird. Wenn alle anderen so leben würden wie wir hier, wären die Pariser Ziele wohl kein Thema mehr. Warum sich also um’s Klima sorgen?

Wo es dagegen sehr wohl eine Klimabewegung gibt, und bis vor Kurzem sogar eine der grössten der Welt, ist Deutschland. Vor wenigen Jahren noch konnten die gewaltfreien Aktionen von Fridays for Future, Extinction Rebellion und Ende Gelände noch Hunderttausende mobilisieren, ihre exponiertesten Vertreterinnen wurden von der Kanzlerin empfangen, die Presse widmete ihnen breiten Raum.

Aber die Luft ist raus. Zu den Mobilisierungen kommen kaum noch grosse Massen, in den Medien spielen sie nur noch eine untergeordnete Rolle. Die unterschiedlichen großen organisierten Fraktionen befinden sich alle in einer Sackgasse. In der Klimagerechtigkeitsbewegung in der BRD werden momentan strategische Perspektiven diskutiert. Um diese soll es in diesem Beitrag gehen.

Stagnation und Rollback

Das Gesamtbild ist wenig aufbauend. Auch wenn die Klimabewegung es vormals geschafft hatte, die Dringlichkeit der Sache ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, hat man heute eher den Eindruck, dass wir uns in einem ideologischen Rollback befinden, wo die Mehrheit der Bevölkerung von Klimaschutz nichts mehr wissen will und reaktionäre Ansichten dazu dominieren. In möglichst grossen Autos durch die Gegend zu rasen scheint die Essenz deutscher Leitkultur zu sein. Man hat den Eindruck, dass die Gesellschaft auf die Nachricht der kommenden Katastrophe reagiert wie ein Trauernder auf einen Verlust: In einer ersten Phase ist die Reaktion Verdrängung, das Nicht-Wahrhaben-Wollen des Eindeutigen. Auf die Erkenntnis, dass es nicht mehr weitergehen kann wie bisher, reagieren die Deutschen mit einem trotzigen „Jetzt erst recht“. Entsprechend dieses Schemas der Schockbewältigung wäre die nächste Phase Zorn: Wer hat mir das angetan? Bis wir über die weiteren Etappen des Verhandelns und der Depression endlich zur Akzeptanz der Situation kommen, dürfte es allerdings zu spät sein, um noch etwas zum Besseren zu wenden. Interessant ist, dass auch viele alte Linke, eigentlich mit dem ideellen Werkzeug ausgerüstet um Verhältnisse zu verstehen und daraus Konsequenzen abzuleiten, mit infantiler Verärgerung auf die Erwartung nach Veränderung reagieren.

Die Bewegung ist also in der Krise. Der mobilisierende Faktor von Fridays for Furure (FfF) ist weitestgehend weggebrochen. Deren Ansatz von appellativen Forderungen an die Politik für eine ökologische Transformation der Wirtschaft ist spätestens mit dem Wegfallen des ‘Klimafonds’ der Bundesregierung obsolet. Die kapialismuskritischen Gruppen innerhalb von FfF, die eine Perspektive für eine Transformation innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystem nicht sehen, sind absolut in der Minderheit. Als Bewegung ist FfF nicht in der Lage und auch nicht willens, politische Positionen zu anderen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu fomulieren und sich dort einzubringen. Zum Krieg in der Ukraine, dem Krieg in Palästina, der Abschaffung des Asylrechts in Europa oder der Mobilisierung von rechten und autoritären Politiken ist von ihnen nichts zu hören. Die wahrscheinlichste Entwicklung von FfF Deutschland ist, dass sie sich als Partei aufstellen und sich dann in kürzester Zeit den Grünen angeleichen werden.
Extinction Rebellion (XR) scheinen ihr Pulver verschossen zu haben und hauptsächlich mit internen Streitereien beschäftigt zu sein.
Die Letzte Generation (LG) ist inzwischen auch nicht mehr in der Lage, mit ihrem Ansatz von Verkehrsblockaden politischen Druck für ihre reformistischen Minimalforderungen wie zum Beispiel Tempo 130 zu entwickeln. Auch die PR-Aktionen mit Farbe auf symbolträchtige Orte sind für sie anscheinend keine Basis mehr für eine längerfristige praktische Strategie. Überhaupt scheinen sie mit ihren Aktionen hauptsächlich auf Ablehnung gestossen zu sein. Bis weit in die Linke hinein wird abfällig über sie geurteilt, für ihre extrem konsquente und selbstlose Opferbereitschaft zu Gunsten eines gemeinsamen Interesses scheint es kaum Anerkennung zu geben. Vielleicht weil sich die, die das „sektenhafte“ dieser Gruppe kritisieren, durch deren Radikalität an das eigene Nichtstun erinnert fühlen?

Größere undogmatische Mobilisierungsansätze wie “Ende Gelände” diskutieren inzwischen ebenfalls einen Strategiewechsel. Die Kampagnen mit Massenaktionen und Blockaden wie zum Beispiel gegen den Kohletagebau binden viele Ressourcen und führen zumindest nicht dazu, die Energiekonzerne ernsthaft zu schädigen. Auch inhaltlich wird darüber diskutiert, ob der Kampf gegen Kohleabbau in den nächsten Monaten und Jahren noch zielführend sein wird. Manche sehen im Kampf gegen die ‘neuen’ fossilen Energieträger (z.B. LNG) einen Ansatz, andere eher in der Thematisierung von Mobilitätskonzepten.

Neben der strategischen Krise der größeren Organisationen sind auch mobilisierende Kristallisationspunkte wie die Waldbesetzungen im Hambacher und Danneröder Forst oder die Besetzung in Lützrath abgeräumt. Gleichzeitig wächst ganz allgemein der Repressionsdruck gegen die Klimagerechtigkeitsbewegung. Mehrmonatige Haftstrafen ohne Bewährung für überschaubare Sachbeschädigungen in einem Tagebau oder Farbaktionen, Kriminalisierungen nach §129 gegen die Letzte Generation etc. sind dafür ein Ausdruck. Durch die inzwischen sehr zahlreichen Verfahren und hohen Strafandrohungen wird innerhalb der aktivistischen Gruppen zunehmend auch über praktische Strategien und Ansätze diskutiert, die sich einer direkten Konfrontation mit den Repressionsorganen entziehen.

Aber hauptsächlich hat wohl zur Frustration in der Bewegung beigetragen, dass die ganzen Proteste im Grunde nichts bewirkt haben. Nach mehreren Jahren massiver Mobilisierungen mit breitem Echo in den Medien ist es mittlerweile nicht mehr zu übersehen, dass die Politik nicht im Geringsten bereit ist, irgend etwas dieser Forderungen umzusetzen. Den jungen Leuten wird freundlich der Kopf getätschelt und gratuliert für so viel Idealismus, aber gleichzeitig wird unbeirrt an den bisherigen Konzepten festgehalten. Der Diskurs ist getränkt von grünen Floskeln, und selbst die Erdölkonzerne verkaufen ihren Extraktionismus mittlerweile als Umweltschutz. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Es wird weiterhin gebohrt, verbrannt, beschleunigt, mit steigender Tendenz. Für viele aus der Klimabewegung, die tatsächlich geglaubt hatten, das Kapital liesse sich mit freundlichen Bitten zu einem anderen Umgang mit der Natur überreden, ist das natürlich enttäuschend. Das wirkt sich auf die Mobilisierungsbereitschaft aus. Ihr blindes Vertrauen in den Staat und seine Mitbestimmungsmechanismen bekommt indessen Risse. Kann es etwa sein, dass die marktwirtschaftliche Demokratie, das beste aller vorstellbarer Gesellschaftssysteme, in Wirklichkeit vor allem den finanziellen Interessen einer Elite dient?

Endloses Wachstum in einem begrenzten System: Die Fabel vom quadratischen Kreis

Die Antwort des Kapitals und seiner Vertretung in der Politik auf die Zerstörung unserer Lebensbedingungen infolge von 200 Jahren kapitalistischer Produktion ist weiteres Wachstum, aber unter „günen“ Vorzeichen. Man muss nun kein mathematisches Genie sein um zu verstehen, dass es in einem begrenzten System, wie es die Erde nun einmal ist, kein unbegrenztes Wachstum geben kann. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, sondern mit Physik. Um den Planeten für uns und die meisten anderen Spezies weiterhin bewohnbar zu halten, muss deshalb das wirtschaftliche System geändert werden. Décroissance ist das Stichwort, nicht Wachstum. Um zu einer realistischen Politik zur Klimakrise zu kommen, muss die Bewegung deshalb zuallererst ihr Verhältnis zu den bestehenden Produktions- und Akkumulationsverhältnissen klären. Dafür ist es auch wichtig zu verstehen, welche Position das Kapital bezüglich der Klimakrise einnimmt.

Als Verursachung ist im kapitalistischen System die Vernutzung fossiler Energien erkannt worden, deren Endlichkeit vorher schon problematisiert worden war (peak oil). Auf Grund der hohen Energieintensität der fossilen Energien (€/kWh) als Billig-Faktor im Produktionsprozess war der Widerstand des Kapitals gegen Erneuerbare Energien anfänglich relativ groß. Sogenannte Stromgestehungskosten beispielsweise der Photovoltaikenergie waren erstmal nicht attraktiv fürs Kapital. Aber diese haben sich innerhalb von einer Dekade mehr als halbiert. Dazu ist die Energiequelle Sonne (die indirekt ja auch für Wind steht) unerschöpflich. Eine industrielle Revolution, vergleichbar mit dem Wechsel von der Postkutsche zum Verbrennungsmotor, wurde im kapitalistischen Konkurrenzsystem losgetreten, mit all ihren sozialen Verwirrungen und Turbulenzen.

Wem gelingt die schnellste und billigste Umstellung zur Erzeugung erneuerbarer Energie aus diesen Endlosquellen aus lokaler, nationaler Produktion? Aus Kapitalsicht ist die CO2-Reduzierung ein positiver Nebeneffekt, mit dem sich diese Zukunftsinvestitionen auch gesellschaftlich finanzieren und gleichzeitig ungeheure Zukunftsmärkte entwickeln lassen. Für das akkumulierte weltweite Finanzkapital ein gefundenes Anlage- und Vermarktungsfressen mit gut verkaufbaren ökologischen Argumenten, nachdem die Renditen aus Produktivkapital seit mehr als zwei Dekaden stagnierten. Es ist ein Innovationsschub schlechthin, ohne jegliche Veränderung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. In der Beziehung zur Ausbeutung und zu den natürlichen Ressourcen dieses Planeten hat sich nichts geändert: “Die Steigerung des Rohstoffabbaus und der Produktion, die laut Weltbank dazu nötig wäre, genug Solar- und Windkraftanlagen zu bauen, um bis 2050 eine Jahresleistung von 7 Terawatt Elektrizität zu generieren, ist gewaltig: 17 Mio. Tonnen Kupfer, 20 Mio. Tonnen Blei, 25 Mio. Tonnen Zink, 81 Mio. Tonnen Aluminium und nicht weniger als 2,4 Mrd. Tonnen Stahl.10 Der Übergang zu erneuerbaren Energien setzt eine massive Steigerung der Fördermenge gegenüber dem bisherigen Niveau voraus. Die Nachfrage nach Neodym, einem notwendigen Rohstoff für den Bau von Windrädern, müsste um 35 Prozent gesteigert werden um das Ziel der Emissionsfreiheit zu erreichen. Zugleich wird sich die Nachfrage nach Indium, das für die Solarenergie zentral ist, verdreifachen und die nach Lithium, das für die Energiespeicherung notwendig ist, Prognosen zufolge um ein 27-faches ansteigen. Allein das Lithium hat eine verheerende Ökobilanz: Chemische Lecks aus Lithiumminen haben Flüsse von Chile bis Argentinien, Nevada und Tibet vergiftet und ganze Süßwasser-Ökosysteme vernichtet.”1

Die Klimabewegung ist in eine immense Falle getappt und will das bis heute nicht wirklich wahrhaben. Genauso wenig will sie in ihrer Breite wahrhaben, dass das weltweit agierende kapitalistische System noch andere zerstörerische Potentiale besitzt, die Menschenleben und Natur auf dieser Erde extrem gefährden. Kapitalistische Konkurrenz und Imperialismus gehen einher mit Krisen und Krieg. Der ständige Zwang zur Kapitalvermehrung unterwirft die elementarsten und intimsten Lebensbereiche den Marktgesetzen und verwandelt dabei Menschen in Kund*innen und Leben in Ware. Der schönste Planet, den wir kennen, wird zunehmend vergiftet und für Menschen unbewohnbar gemacht.

Wenn die Klimabewegung aus der Krise kommen will, muss sie als erstes den Kapitalismus als antagonistischen Gegner identifizieren, sonst kann sie nicht weiterkommen. Das wird nicht mit Appellen und Bitten gehen, sondern nur mit konkreten materiellen Auseinandersetzungen. Bisher ist davon wenig zu spüren: Die Wohlhabenden müssen dabei lernen zu teilen. Auf eine ganz neue Art und Weise: Die Reichen müssen lernen, unser gemeinsames CO2-Budget mit den Ärmeren zu teilen. Die Millionäre mit den Obdachlosen, die Besserverdienenden mit den Empfänger*innen von Bürgergeld und den Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten. Die obere Mittelschicht muss lernen, mit der unteren Mittelschicht zu teilen, und der globale Norden mit dem globalen Süden.“, sagt zum Beispiel Miltiadis Oulios in ‘Klima-Kommunismus’2. Das ist ja generell richtig, aber dieser Lernprozess wird nicht freiwillig vonstattengehen. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Reichen nur mit handfestem Druck dazu gebracht werden können, etwas von ihren Privilegien abzugeben. So sympathisch der naive Humanismus ist, der aus diesen Worten klingt, führen wird er zu nichts. Um etwas zu erreichen, muss die Bewegung verstehen, gegen wen sie kämpft und aus den Erfahrungen der Geschichte lernen.

Der Blick über den Tellerrand

Die zweite inhaltliche Korrektur, die die Klimabewegung dringend vornehmen muss, ist die Verbindung der Kämpfe in Deutschland mit denen der übrigen Welt, insbesondere den Ländern des Südens. Das ökonomische und kulturelle System, das die Klimakrise hervorgebracht hat, ist in erster Linie Produkt des ‘Westens’, und dieser trägt auch die grösste Verantwortung für dessen Lösung. Aber die Auswirkungen betreffen alle, und ohne das Verständnis für die kolonialen Strukturen, die diesem System zugrunde liegen, kann es keine kohärente Strategie zu dessen Bekämpfung geben. Ohne die Ausbeutung der humanen und Naturressourcen von Lateinamerika und Afrika wäre die Entwicklung des Kapitalismus so kaum möglich gewesen. Diese Schuld ist nicht mehr abzutragen, geschweige aufzulösen. Selbst Hartz IV – Empfänger*innen haben sich an Standards gewöhnt, die der Staat bezahlen kann, weil neben den Riesen-Multi-Profiten immer noch genügend Surplus-Profite abfallen, um die Leute halbwegs ruhig zu halten. Allein die Verunsicherung dieser privilegierten Standards treibt die Metropolenmenschen in rassistische Fahrwasser. 500 Jahre trikontinentaler Extraktivismus von Menschen und Natur sind tief in die DNA der Europär*innen eingegangen.

Ein Rückgriff auf diese Jahrhundere schrecklichster Ausbeutung Rohstoffe von Mensch und Natur ist notwendig. Ohne die Finanzierung der feudalen Kriege und ihrer Industrie in Europa durch das Gold, Silber und vieler anderer Ressourcen aus den eroberten Kolonien, der todbringenden Ausbeutung, Versklavung menschlicher Arbeitskraft aus den drei Kontinenten wäre eine Entwicklung des prosperierenden Merkantilismus, des Manufaktursystems und der kapitalistischen Produktionsweise kaum möglich gewesen. Die Bedeutung des Extraktivimus all dieser Ressourcen ist bis heute für die Entwicklung Europas selbst in der marxistischen Theorie nicht hinreichend analysiert und gewürdigt. Die bis heute wirksamen Traumatisierungen durch Genozide und Sklavenhaltertum in großen Teilen der Bevölkerung der drei Kontinente werden marginalisiert bzw. verkannt.

Trotz eigener Misere, Kinderarbeitsausbeutung, Hungerepidemien und bestialisch anmutenden Überlebenskämpfen haben sich die Unterklassen Europas auch nicht als Emigranten in den drei Kontinenten mit den versklavten, zu tiefst erniedrigten Opfern des Kolonialsystems solidarisiert. Im Gegenteil. Rassistische, nationalistische Überheblichkeitsideologien der Herrschenden sind in die Mentalitäten der Mehrheit der europäischen und nordamerikanischen Menschen eingedrungen und haben sich bis heute labyrinthisch verselbständigt.

Es ist also fundamental für die Kämpfe um die Erhaltung des Planeten als Habitat, dass der Rassismus im eigenen Denken und Handeln analysiert wird. Anstatt Mechanismen zu suchen, wie man einfach weiter machen kann wie gewohnt, vorgeblich aber ohne dafür das Klima zu schädigen, und die Auswirkungen dieses Greenwashing in den Trikont zu verlagern, müssen Antworten für die ganze Welt gesucht werden. Es gibt keine Lösung für die Klimakrise, wenn sie nicht für alle gilt.

Ein gutes Beispiel für die korrekte Richtung ist die Aktion von Ende Gelände gegen die Verstromung von kolumbianischer Kohle im Kraftwerk Scholven. Die Aktivist*innen der kolumbianischen Guajira, wo diese Kohle abgebaut wird, haben kürzlich eine Rundreise durch die BRD gemacht und um Unterstüzung für ihren Kampf geworben.

Praktische Ansätze: Was tun, wenn’s brennt?

Wie könnte eine Klimagerechtigkeitspolitik praktisch aussehen, die sich inhaltlich sowohl antikapitalistisch als internationalistisch positioniert? Die erste und wichtigste Frage, die sich stellt, ist die der Bündnisfähigkeit. Der Klimawandel betrifft Alle, und jederhalbwegs vernunftbegabte Mensch muss ein Interesse daran haben, etwas dagegen zu unternehmen. Es müsste also möglich sein, sehr grosse und breit gefächerte Allianzen zu schmieden, auch von einer radikal linken Position aus. Voraussetzung dafür sind die Vermittelbarkeit der eigenen Positionen und die anvisierten Ziele.

Auch wenn das eigene Konsumverhalten ein wichtiger Faktor für die Einsparung von CO2 ist, ist es nicht richtig, es an erster Stelle zu behandeln. Viel entscheidender für die Erderwärmung ist das Verhalten einiger weniger Privilegierter. Wenn nur das eine Prozent der Superreichen so leben würden wie die ärmere Hälfte, wäre das Problem schon zu einem guten Teil erledigt. Es ist deshalb richtig, sich in zunächst auf diese wenigen Reichen zu konzentrieren. Das ist leicht vermittelbar über grosse sonstige inhaltliche Differenzen hinweg, und nebenbei verschafft es auch Menschen mit einem naiveren Weltbild Einblick in die materiellen Verhältnisse, die diesem System zugrunde liegen.

Wenig hilfreich ist es, Angriffsziele zu wählen, die auf den ersten Blick für die meisten nicht verständlich sind. Einige Anarchist*innen haben sich zum Beispiel ganz generell auf die Elektrifizierung eingeschosssen: „Die Dekarbonisierung und die grüne Wirtschaft sind eine Verschärfung der kapitalistischen Dystopie und erneuern sich durch politischen Betrug, der sich aus unserer Apathie, Sorglosigkeit und falschen Hoffnungen speist. Neben der Umbenennung der bestehenden Ungleichheiten, polizeilicher Kontrolle und miserabler Arbeit ist die Ökologisierung des Kapitals ein klarer Versuch, das Bestehende zu festigen und die wirklichen sozialen und ökologischen Sorgen der Menschen und natürlich ihrer direkten Aktionen auszuschalten. Es gibt gute Gründe, die grüne Infrastruktur überall und nirgends sonst anzugreifen – tötet die Elektromobilität und die rassistischen Versorgungsketten, welche sie maskiert.“3 Nun ist es zwar richtig, dass der Umstieg von Verbrennungsmotoren auf Elektroautos nichts am Problem ändert und die Umweltzerstörung nur verlagert. Erst die Aufgabe des Individualverkehrs zugunsten kollektiv organisierter Mobilität kann einen Wechsel bewirken. Es wird aber für die Allermeisten nicht verständlich sein, warum jetzt gerade E-Bikes der Hauptfeind sein sollen. Angriffsziele sollten so gewählt sein, dass möglichst Viele die dahinterstehende Motivation leicht verstehen können.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Aktion gegen Tesla durch die „Vulkangruppe“. Der Anschlag auf einen für die Versorgung der Fabrik zentralen Strommast war auch ohne Lesen der Erklärung sofort verständlich. Tesla produziert bei Grünheide vollkommen überflüssige SUV’s, und will entgegen dem Widerstand der Anwohner*innen weiteren Wald dafür abholzen. Dass auf die für die Genehmigungen zuständigen Behörden keinerlei Verlass ist, hat schon der völlig regelwidrige Bau des Werkes gezeigt: wenn ein Superreicher Arbeitsplätze verspricht, kuschen die Behörden. Es handelt sich hier also tatsächlich um einen Fall ökologischer Notwehr. Dass die Vulkanier*nnen dann auch noch die Schnecken vom Mast abgepflückt haben, bevor sie ihn in Brand setzten und sich in ihren Erklärungen einer einfachen und sehr sachlichen Sprache bedienen, sorgt für weitere Vermittelbarkeit. Sie beziehen sich dabei nicht nur auf die Umweltzerstörung vor Ort durch das Vergiften des Grundwassers, sondern benennen auch den Zusammenhang zwischen der Produktion in Deutschland und den Kämpfen gegen den dafür notwendigen Lithiumabbau besipielsweise in Bolivien. Zwar hat der Anschlag eine Welle von Distanzierungen ausgelöst, auch von Leuten, die selbst gegen die Werkserweiterung sind. Aber die Aktion hat grosse Kreise gezogen, die gesamte Medienlandschaft hat sich zu Erklärungen bemüssigt gefühlt, und selbst Besitzer Elend Musk schien das Ganze so heikel, dass er eigens einflog um mediale Schadensbegrenzung zu betreiben.

Es ist heute nicht mehr so leicht wie früher, zum Einsatz klandestiner Aktionen aufzurufen. Die technischen Möglichkeiten der Repressionsorgane haben sich zu einem Grad weiterentwickelt, wo nur noch sehr disziplinierte und spezialisierte Gruppen Sachbeschädigungen durchführen können, ohne aufzufliegen. Aber genauso wenig darf sich eine Bewegung, die sich ernst nimmt, darauf verzichten. Die verwendeten Aktionsmittel müssen das Resultat der Kräfteverhältnisse und der taktischen Erwägungen sein, sie können nicht vom Gegner vorgeschrieben werden. Eine Politik, die sich auf legale Mittel des Kampfes beschränkt, hat schon verloren. Notfalls passt der Staat seine Legalität eben den Ereignissen an, wie man an der völlig überzogenen Reaktion auf die eher braven Aktionen der LG sehen konnte.

Zentral für die Frage nach Bündnissen muss also die inhaltliche Position sein, nicht die Aktionsform. Es können durchaus auch „reformistische“ Ziele sein wie Tempo 130, so lange das grosse Ganze dabei nicht aus den Augen verloren wird. Warum beispielsweise wird in Deutschland der Flugverkehr staatlich subventioniert? Wie wäre es stattdessen, wenn auf Flüge Steuern in der Höhe der Kosten erhoben würden, die dem Haushalt durch den Flugverkehr entstehen? Keine radikale Forderung, im Gegenteil. Beim Nikotinkonsum wird das schon längst gemacht. Von dem eingenommenen Geld könnte zum Beispiel jeder Person ein Fahrrad geschenkt werden, wenn sie das 15. Lebensjahr erreicht. In der öffentlichen Meinung wäre das leicht durchzusetzen, denn die Gruppe, die durch solch eine Besteuerung Nachteile erleiden würde wäre wesentlich kleiner als die der dadurch Begünstigten.

Ein weiterer Punkt, wo sich andocken liesse, wäre die entfesselte Kriegswirtschaft. Der neue deutsche Bellizismus führt nicht nur zu Tod und Verstümmelung an den Kriegsschauplätzen, er ist auch ein gewaltiger Klimakiller. Ganz unkaschiert tritt hier die Scheinheiligkeit der Herrschenden zutage. Klimaschutz schön und gut, aber wenn die geostrategischen Interessen des Westens im Spiel sind, ist Schluss mit lustig. Die illegale Landnahme durch Russland muss dann auf Teufel komm raus verhindert werden, aus Fracking gewonnenes LNG wird plötzlich wieder gefördert, um den Feind mit sinnlosen Sanktionen zu belegen. Bei anderen illegalen Landnahmen wie in Kurdistan oder Palästina gilt erstaunlicherweise das Gegenteil, da wird dann der Agressor mit Waffen gefüttert. Eine internationalistisch aufgestellte Klimabewegung müsste hier sagen: Stop, kein Krieg in unserem Namen!

Zum Schluss: Ist der Kampf gegen den Klimawandel überhaupt ein Anliegen der radikalen Linken? Muss es uns in erster Linie nicht eher um soziale Gleichheit, Herrschaftsfreiheit und Selbstbestimmung gehen? Sollten wir die Klimagerechtigkeit nicht den reformistischen Kräften überlassen, die sich hauptsächlich bisher dafür engagiert haben? Die Frage ist leicht beantwortet. Auf einem Planeten, der als Habitat für Menschen nicht mehr geeignet ist, wird es auch kein selbstbestimmtes Leben geben können. Wahrscheinlich werden es die Reichsten und Mächtigsten irgendwie schaffen, es sich weiterhin gemütlich zu machen, aber für die armen Massen wird es immer unmöglicher werden, sich durchzuschlagen. Die grassierende Zunahme autoritärer Modelle ist nur ein Vorgeschmack davon. Der Kampf gegen die Erderwärmung ist keiner, den wir uns aussuchen können. Es ist der Kampf um das Leben schlechthin.

 

1 https://communaut.org/de/die-oekologische-krise-und-der-aufstieg-des-postfaschismus

2 Miltiadis Oulios: Klima-Kommunismus. Gleichheit in Zeiten der Erderwärmung. ISBN: 978-3-89771-384-0

3 Die ‘grüne’ Farce überall und nirgendwo sonst. Autonomes Blättle N°55.

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